Mit der Acetamiprid-Spritze neben dem Blühstreifen entlang …

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    Bulli
    Forenmitglied

      Hallo alle!
      Heute eine Überlegung zur Notfallzulassung eines Neonikotinoids.

      Eigentlich dachte ich, dass Acetamiprid inzwischen verboten wäre, aber dem ist nicht so. Der Wirkstoff gehört zur Neonikotinoid-Gruppe und ist eines der zehn potentesten bekannten Neonikotinoide (hohe Tödlichkeit bei wenig Wirkstoff), von denen die drei potentesten Neonics EU-weit für den Freilandeinsatz verboten wurden. Es gilt als bienenfreundlich, weil der LD50-Wert (bei welcher Konzentration sterben 50% der Honigbienen) mit dem die lethale (tödliche) Wirkung gemessen wird, sehr hoch ist. Die sublethale Wirkung (nicht tödliche Wirkung, wie z. B. Orientierungslosigkeit) spielt dabei keine Rolle. Die Neonicotinoide sind systemisch wirkende Insektizide. Das heißt, wenn sie auf eine Stelle der Pflanze aufgebracht werden, verteilen sie sich von der Wurzel bis zur Blüte und sind in allen abgegebenen Stoffen wie auch Flüssigkeiten enthalten.

      Nun, denn.
      Die Bundesregierung hat Acetamiprid im März in Form einer Notfallzulassung für die Zuckerrübensaison 2019 zugelassen. Normalerweise wird der Zuckerrübensamen mit einem der drei verbotenen sehr potenten Neonikotinoide gebeizt und damit die Pflanze für das ganze Jahr geschützt. Durch das Verbot des Beizens mit diesen Neonicotinoiden, wird jetzt das Spritzen der Pflanzen mit einem weniger potenten Neonicotinoid erlaubt.

      Mein erster Gedanke: “Oh, nein! Die Fremdpflanzen im Feld werden auch besprüht! Das könnte Insekten töten, wenn sie die Blüten dieser Pflanzen ansteuern.”
      Dann aber erinnerte ich mich: “Puh! Entwarnung, denn auf einem Zuckerrübenfeld wächst nichts außer Zuckerrüben, ähnlich wie bei Maisfeldern. Keine Gefahr für Insekten.”
      Allerdings erinnerte ich mich sofort an eine Greenwashing-Aktion von Südzucker im Jahr 2014, wo um die Zuckerrüben-Felder Blühstreifen angelegt und darin Hummelnistkästen aufgestellt wurden. “Toll. Jetzt werden die Insekten durch Blühstreifen angelockt und dann werden die Pflanzen mit verirrten Insektizid-Tropfen für Insekten vergiftet?”

      Dieser Gedanke ließ mich nicht los. Kann die Vermutung richtig sein?

      Der Produzent, der den Wirkstoff Acetamiprid unter der registrierten Handelsmarke Carnadine(R) vertreibt, gibt die Einsatzzeit mit BBCH 12 – 39 an. Die Zuckerrübe ist eine zweijährige Pflanze, die in der Regel spätestens mit dem Erreichen des Stadiums BBCH 29 geerntet wird. Einige Pflanzen bilden im ersten Jahr schon Schossen und sind damit im Stadium BBCH 30 – 39. Schossen an Zuckerrübenpflanzen mindern jedoch den Ertrag indem die Rübe nicht so groß wird und sind darum unerwünscht. Gibt es zu viele Schossen, werden sie manchmal von den Bauern abgeknickt oder abgeschnitten, um den Ertrag zu retten. Letztendlich ist die Zuckerrübe ein Nährstoffspeicher aus dem die Blüten im 2. Jahr zehren könnten, um viele Samen zu erzeugen.

      Bei dem Neonikotinoid wird eine Wartezeit vom letzten Sprüheinsatz bis zur Ernte mit 35 Tagen angegeben.

      Die letzte Zuckerrüben-Kampagne 2018/2019 (Einlieferung der Zuckerrüben) startete im letzten Jahr bei Südzucker zwischen Mitte und Ende September und die Einlieferung dauert bis Ende Dezember oder Ende Januar. Allerdings werden die Rüben häufig einige Tage vor der Einlieferung geerntet und zur Mite aufgeschichtet.

      Bis wann darf also mit dem Neonikotinoid das Feld gespritzt werden?
      Rein kalendarisch darf die letzte Behandlung zwischen mitte August bis mitte Dezember stattfinden.

      Aber wann sind die mit dem Mittel bekämpfbare Schwarze Bohnenlaus und die Pfirsichblattlaus als erntegefährdender Schädling unterwegs?
      Von der Schwarzen Bohnenlaus heißt es, dass sie ab ca. April bis irgendwann im Herbst für Rüben zu haben sei. Bekämpfungswürdig ist sie bis Mitte Juli. Ab diesem Zeitpunkt wird davon ausgegangen, dass sich die Marienkäfer stark vermehrt haben und die Läusepopulation zusammen brechen lassen. Die Pfirsichblattlaus wird aus dem gleichen Grund auch nur bis mitte Juli mit Insektiziden bekämpft.

      Somit ergibt sich eine Überlappung von ca. mitte Juni, wenn die ersten Blüten auf den Blühstreifen erscheinen, bis mitte Juli, wenn der Einsatz von Acetamiprid nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll ist.

      Innerhalb dieses Zeitraums können die Pflanzen des Blühstreifens als “Kolateralschaden” mit verwehten Tröpfchen benetzt werden, die das Insektizid Acetamiprid enthalten. Weil die Behandlung zwei Mal im Abstand von 14 Tagen stattfindet, könnten etliche der Blühpflanzen des Blühstreifens für 4 Wochen tödlich für Läuse sein. Außerdem werden die an Insekten abgegebenen Substanzen wie Nektar und Pollen sublethale Wirkung auf die adulten Insekten wie auch ihren zukünftigen Nachwuchs haben. Wenn man davon ausgeht, dass viele solitär lebende Insekten gerade mal wenige Wochen leben und die Larven sich ausschließlich von Pollen ernähren, könnte man diese Überlappung und die Notfallzulassung als mehr als ärgerlich betrachten.

      Allerdings hat man das Problem auch mit anderen Insektiziden und Fungiziden in Verbindung mit Blühstreifen.
      Da beißt die Maus keinen Faden ab.

      Meine Fragen an euch:
      – Die Überlappung der Zeiträume ist theoretisch nachgewiesen. Gibt es diese Überlappung in der Praxis überhaupt oder wird die Neonicotinoid-Kur für die Pflanzen schon viel früher im Jahr durchgeführt, bevor die Blühstreifen anfangen zu blühen? Es soll laut der Informationsquelle mit der Läuse-Bekämpfung begonnen werden, wenn an vier von zehn Rüben jeweils mindestens eine Laus der Art zu finden ist.
      – Habe ich die ersten Blüten im Blühstreifen (Mitte Juni) richtig datiert oder sind die ersten Blüten früher zu sehen, weil die Blühstreifen an Zuckerrübenfeldern eher eingesät werden als Ende Mai/Anfang Juni?
      – Gibt es überhaupt noch Blühstreifen um Zuckerrübenfelder im Einzugsbereich von Südzucker?
      – Für wie gefährlich haltet ihr die (theoretische) Überlappung?

      VG
      Bulli

      Quellen:
      Notfallzulassung, Neonicotinoid, Acetamiprid, Carnadine(R):
      . . https://www2.nufarm.com/de/2019/03/25/notfallzulassung-fuer-carnadine-erhalten/
      Blühstreifen, Zuckerrübenfeld, Südzucker AG:
      . . https://www.giessener-allgemeine.de/kreis-giessen/hungen-ort848765/pilotprojekt-bluehstreifen-zuckerruebenfeld-12059496.html
      Zuckerrübenkampagne, Nordzucker, Start, international:
      . . https://www.nordzucker.de/unternehmen/news-media/ansicht/article/nordzucker-startet-kampagne-201819.html
      Zuckerrübenkampagne Südzucker, Offenau:
      . . https://bisz.suedzucker.de/extern/Kampagnedaten/CD.htm
      Schwarze Bohnenlaus / Schwarze Rübenlaus:
      . . https://bisz.suedzucker.de/pflanzenschutz/blatt-schaedlinge/schwarze-bohnen-oder-ruebenlaus/
      Pfirsichblattlaus:
      . . https://bisz.suedzucker.de/pflanzenschutz/blatt-schaedlinge/gruene-pfirsichblattlaus/

      #37733
      bumblebee-me
      Forenmitglied
        • DE 91459
        • 395 m

        Hallo Bulli,
        viele deiner Fragen kann ich nicht beantworten, nur soviel dazu:
        – wir haben heuer ein Zuckerrübenfeld direkt in der “Nachbarschaft” d.h. gleich an unserem Flurbereinigungs-
        weg.
        – es wurde kein Blühstreifen eingesät.
        – die Spritzung, wahrscheinlich mit dem Neonicotinoid, erfolgte am 02.05.19. Habe mir das extra notiert, da
        zu diesem Zeitpunkt starker Westwind wehte. Sehr ärgerlich!
        Seitdem erfolgte keine Spritzung. Werde dieses Feld nach deinen Ausführungen ganz besonders im Auge
        behalten.
        LG

         

         

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